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11. November 2023

Über die Gleichförmigkeit der Tage


Rainer Maria Rilke - Sollte man generell nur im Herbst lesen ... :-)

Früher war noch viel mehr Zeit. Deswegen ist früher immer alles besser gewesen. Zeit ist das Einengen der Perspektiven, die verlorengehen. Werden es weniger Perspektiven, dann reduzieren sich entsprechend die Möglichkeiten. Und je weniger Möglichkeiten sich ergeben, desto vermeintlich schlechter die Ausgangslage. Früher war also immer alles besser.

Immer wieder spreche ich es an: wenn man die Zeit seit dem Start in das Berusleben nochmal auf den aktuellen Zeitpunkt draufrechnet, dann ist es statistisch sehr wahrscheinlich, dass man gar nicht mehr da ist. Hinter dieser puren Mathematik steckt die Tragik des Sogs der Zeit, der - da jedes Jahr, das vergeht einen immer kleineren Teil an allen schon erlebten Jahren repräsentiert - immer stärker zu werden scheint. Es ist wie in Kafkas kleiner Fabel. Man muss nur die Katze als Metapher für die Zeit verstehen:

„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du mußt nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie

Aber das ist glaube ich viel zu kurz gedacht. Denn in der Vergangenheit haben wir ja unsere Perspektiven gewählt. Die Maus hat anscheinend nur einen Weg vor sich - wir haben aber unsere Mauern rechts und links selbst ausgewählt.

Die Gleichförmigkeit der Tage verliert ihre Monotonie, ihren negavtiven Beiklang, wenn wir die Momente unserer selbstgewählten Perspektiven bewusst leben - rational, selbstreflektiert und trotzdem immer mit einer guten Portion Spontaintät und bewusstem Erleben.

Eine Jahreszeit dauert nur drei Monate. Das muss man sich mal klarmachen. Und je mehr Zeit vergeht, desto kürzer scheint die Zeit zu sein, die uns die wenigen Tage der Farbenpracht des Herbstes gibt, bevor schon alles wieder grün wird - so wird es sein, im Nachhinein. Der Herbst ist in der Gleichförmigkeit der Tage sicher die bunteste Perspektive. Es folgen in den kommenden Tagen noch mehr solcher bunten Reflexionen.


Rilke und Kafka hatten wir schon in diesem Tagebucheintrag - fehlte also nur noch ein Gedicht von Killert :-)