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26. November 2023

Reversed Fall

Über die Gleichförmigkeit der Tage hinweg, sich selbst in ein neues Zuhause gebracht und jetzt die dunklen Tage geniessend - so gut das möglich ist - entsteht das, was in vielerlei Hinsicht heute so selten ist: Selbstreflexion. Das war bisher immer nur in meinem Refugium auf der Insel Amrum möglich - aber mein neues Zuhause steht einem Zufluchtsort in nichts nach. Was bedeutet das?

Ich habe immer mehr den Wunsch, (freie) Zeit sinnvoll zu verbringen. Es passiert nur noch selten, dass ich ganze Serien am Stück schaue, klassisches Fernsehen schaue ich sowieso nicht und auch alle weitere Freizeitbeschäfitgung ist genau überlegt. To-Do Listen sind ständiger Begleiter. Nicht der Effizienz wegen, sondern zur Protokollierung von Ideen und einer Übersicht ihrer besseren Aneinandereihung. Ich höre wieder viel bewusster Musik, die alten Alben von Simple Minds, Sting, Coldplay, Pearl Jam, Joy Division, The National. Ich habe Podcasts für mich entdeckt, mache analoge Lesezeichen in den Büchern von Jim Holt, halte Deutschlandfunk für einen Segen und bin bestrebt, auf eine einzelne Sache mehr Zeit anzuwenden und diese auch konzentrierter zu nutzen. Das ist gar nicht so einfach.

Durch die Überladung von Möglichkeiten und dem sich ständigen Aussetzen an Sinneseindrücken, schüttet das Gehirn nicht für einen längeren Prozess Dopamin aus, sondern gibt dieses in kleinen Häppchen ab. Wir erleben das, wenn wir auf die Straße sehen und gefühlt 99% aller Menschen unentwegt auf ihr Smartphone schauen. Als würde der nächste Like, der nächste Facebook-Kommentar, das nächte Signal einer neu eingetroffenen WhatsApp Nachricht wirklich einen Mehrwert jenseits der Banalität haben. Ich bemühe mich, diese Einflüsse zu reduzieren und bin darin ganz gut. Aber selbst einer wie ich wünscht sich doch tatsächlich mehr analoge Substanz zurück. Diese Häppchen-Aufmerksamkeit, die wir mit unseren Fingern auf den Displays "swipen", macht es schwer, sich auf längere Zeit auf etwas zu konzentrieren.

Und das, obwohl ich gegenüber allem Neuen aufgeschlossen bin. "Never change a running system" ist Schwachmaten-Informatik und ein "Smart-Home" ist ein Segen. Denn früher war nicht deswegen alles besser, weil es so war, wie es war - es war besser, weil die noch ausstehende Lebenszeit so übermächtig groß in ihren Möglichkeiten erschien, dass wir uns selbst problemlos Sackgassen im Lebensweg zugestanden haben. Das geht jetzt nicht mehr. Dafür bleibt keine Zeit.

Die dunkle Jahreszeit erinnert uns daran. Der Blick auf das was kommt, ist im Moment Erinnerung.

"Reversed Fall" - Erinnerung daran, dass die Bäume wieder grün werden in 50 einzelnen Sequenzen:


Reversed Fall